Rezension im Coucou Kulturmagazin, geschrieben von Ruth Loosli
Lies mal
Doris Wirth «Findet mich»
Roman, Gepardenverlag 2024
324 Seiten / 460 Gramm
«Die Welt, in die ich geboren werde, besteht aus Spannteppichen», erzählt uns Florence, eine der Hauptfiguren im Romandebüt von Doris Wirth. Die Spannteppiche stehen für Spannungen, für konservative Konzepte, für Abgeschabtes. Der Vater von Florence heisst Erwin, sein Bemühen, die Spannungen auszuhalten, schlagen fehl. Vom Misslingen wird erzählt, manchmal komisch, oft melancholisch, doch immer in präzisen, überraschenden Bildern, die es schwermachen, das Buch aus der Hand zu legen.
Erwin hatte einen strengen Vater, er selbst will ein anderer Vater sein für seine zwei Kinder. Sein Erfindergeist trägt ihn über manche kritische Situation hinweg, doch der Jähzorn ist ein schwelendes Feuer, das er in sich trägt oder ein schlafender Vulkan, der sich ab und an Bahn brechen muss. Die Mutter gleicht aus, doch das genügt nicht. Plötzlich genügt er sich selbst nicht mehr, er gerät in einen Zustand, den man mit «Psychose» beschreiben kann. Und die Beschreibungen sind nicht zimperlich. Der Vater muss gehen, er muss in sein Auto steigen und wegfahren, er will das Spiel «Findet mich» spielen – und verliert sich beinahe dabei. Dies ist der Hauptstrang des Romans, doch wir erfahren auch einiges von den aufwachsenden Kindern, von der damaligen Liebesgeschichte der Eltern. Die Autorin Doris Wirth war teilweise in Winterthur zuhause, lebt heute in Berlin und legt uns einen Roman vor, der ein halbes Jahrhundert umspannt. Er hilft uns, die Gegenwart besser zu verstehen. Grosse Empfehlung!